Reni Steinitz

Die Geschichte einer Geschichte

Eröffnung des Steinitz-Treffens im August 1998

 

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In den siebziger Jahren hatten Ewald Lang und ich die Idee einer Wolfgang Steinitz-Biographie. Es sollte das wechselhafte Leben eines deutschen kommunistischen Wissenschaftlers aus jüdischem Elternhaus beschrieben werden. Zu DDR-Zeiten konnte das Vorhaben aus vielen Gründen nicht realisiert werden. Jetzt wird es als Projekt bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft beantragt; wir suchen noch kompetente Kandidaten (eine Tochter sollte es gar nicht erst versuchen).

Mein Interesse an den Ahnen wurde 1987 geweckt, als ich zu Jannus rundem Geburtstag nach New York fahren durfte und in Princeton mit Stephan Steinitz den von ihm in Dezimalzählung aufgebauten Stammbaum der Familie und alte Photos zusammen zu bringen versuchte. Wir waren ganz aufgeregt, als es uns gelang, unseren gemeinsamen Ahn Mosche Laib Steinitz zu identifizieren.

Mein erstes Reiseziel nach dem Mauerfall in Berlin war Israel, zu den bekannten und unbekannten Verwandten. Bei Joram Steinitz in Tel Aviv fand ich eine zweite, zwei Meter lange Ausgabe unseres Stammbaumes.

Dann kam der schwedische Zweig der Familie hinzu. Es waren aber immer nur die Lebensdaten der Familie. Mich interessierten ihre Berufe, wo sie gelebt hatten, wohin es sie verschlagen hatte, ich wollte mehr vom Leben meiner Vorfahren erfahren. Zunächst dachte ich, die Kindeskinder (und ihre Kinder) sollten das Schicksal der Familie Kurt & Else Steinitz verfolgen, die erneute Diaspora aus Nazi-Deutschland in die Welt (Israel, Sowjetunion/Schweden, Ägypten/USA, Italien). Aber Erich Steinitz in Jerusalem, Stephan und Michael Steinitz in Amerika, die ich jetzt auch kannte, waren mit ihren Familien genauso spannend.

Bei meinen erste Internetübungen 1997 suchte ich STEINITZ, schrieb einem und bekam plötzlich e-mails von bis dahin ganz unbekannten Steinitzen. Mein Blickwinkel wurde wieder um etliches erweitert. Inzwischen bin ich von meinem Jan längst überrundet, er hat jetzt die Fäden zu den verwandten (und auch nicht verwandten) Steinitzen mit e-mail-Anschluß in der Hand.

Allmählich entstand so die Idee einer Familiensaga, angefangen mit Moshe Laib. Wie aber die verstreuten Erinnerungen zusammen bekommen, und wie sie ordnen?

Die Lösung dieses Problems brachte uns Erika Waly: Im Oktober 1997 bekamen wir von ihr den Family Tree Maker auf CD ROM; sie hatte Stephans Stammbaumversion und noch viel mehr schon eingegeben. Seitdem arbeitet auch Jan Steinitz in vielen Nachtstunden, um mit der inzwischen verbesserten Version immer neue Information aufzunehmen. Jetzt haben wir das Werkzeug, um unendlich in die Breite und Tiefe zu expandieren. Die CD ROM wandert um die Welt zu allen Familienmitgliedern, die wir erreichen.

Parallel dazu hatte ich schon lange den Wunsch, die zerstreute Familie einmal bei mir zu versammeln, zu Mauerzeiten gab es kaum andere Möglichkeiten, sie alle zu sehen. Jetzt aber dachte ich, Berlin liegt eher mittendrin als Millbrook Meadows oder Ramot Hashavim. Außerdem haben wir jetzt auch einen Anlaß, den Wunsch zu realisieren:

Ich möchte Euch gewinnen für das Schreiben einer Unendlichen Geschichte unserer Familie, fortgeführt von Generation zu Generation. Jeder kann an seinem Ort daran schreiben. Es soll kein kahler Baum mit bloßen Lebensdaten werden, der Baum kann sich verästeln nach Belieben, er kann bunte Blüten und Früchte tragen, etwas aus dem Leben eines jeden, den wir noch erinnern können. Biographisches und Fakten können wechseln mit Anekdotischem. Es gibt keine Vorgaben und wenig Einschränkungen, denn jeder hat andere Ideen und andere Vorstellungen von Wichtigkeit. Und wir alle sind die Autoren dieser Geschichte.

Es interessieren nicht nur die Steinitze in gerader Linie der Söhne - das wäre auch ganz unjüdisch. Die Angeheirateten sind genau so wichtig, ich denke etwa an Marco, Mina und Erik. Und das älteste Glied unseres Stammbaumes, Simon von Kassel 1566, verdanken wir einem Seitenarm, der Familie von Else Jacobsohn.

Ich möchte einen weiteren Strang eröffnen, denn nicht alles ist im Computer unterzubringen. Im hiermit gegründeten Familienarchiv, das vorläufig bei mir deponiert ist, sollen Photos, Briefe und andere Dokumente gesammelt werden. Der Anfang ist gemacht: Neben Briefen von und an meine Eltern habe ich Briefe und Tagebuch von Anja Kerbels Mutter Erna Jacobsohn, geschrieben im Jahr bevor sie mit ihrem Mann in Auschwitz umgebracht wurde. Außerdem die Lebensgeschichte von Sophie Levy und ein Essay über Käthe Steinitz' Künstlerkreis in Hannover. Ich hoffe, daß sich meine Archivkästen füllen.

PC und email ersetzen nicht das lebendige Gespräch, beim Reden kommen uns auch wechselseitig Erinnerungen, manche werden richtiggehend davon übermannt, wie Michael aus Kanada bei seinem Besuch bei mir im Mai demonstrierte.

Ich wurde gemahnt, aus unserer Reunion keinen Workshop zu machen. Laßt uns probieren, die Lockerheit und das Chaos eines Familientreffens dieses Ausmaßes zu verbinden mit dem Versuch, möglichst viel Information zu sammeln, damit das Projekt gedeihe.

25.07.98


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04/08/06