Katrin Steinitz

Geschichte und Familiengeschichten

 

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Kommunistische Juden

Ich hatte zwei wunderbare Großväter. Beide waren jüdische Kommunisten - und kommunistische Juden. Nur dem Umstand, daß sie kommunistische Juden waren, verdanke ich meine Existenz. Wie das?

Wolfgang Steinitz hätte mit seiner Familie im Land seines Exils, in Schweden, bleiben können. Man sagt, meinem Vater Klaus, 1946 14jährig, sei der Abschied von Schweden reichlich schwergefallen.

Kurt Stern, mein Großvater mütterlicherseits, hätte in Mexiko, wohin er mit Frau und Kind 1941 emigriert war, Wurzeln schlagen können. Oder in seinem geliebten Frankreich, der Heimat seiner Frau. Das Aufblühen meiner Mutter unter südlicher Sonne, wie ich es einige Male erlebt habe, läßt mich vermuten, daß sie in Mexiko wie in Frankreich ein Leben hätte leben können, das mehr ihrem Wesen entspricht.

Aber meine Großväter waren kommunistische Juden - und deshalb hatten sie nie aufgehört, von einem Deutschland nach Hitler zu träumen. Beide hatten sie all die Jahre im Exil nichts sehnlicher herbeigewünscht - Kurt Stern bei der Pflege der deutschen Kultur im Heinrich-Heine-Club in Mexico-City, Wolfgang Steinitz beim Schreiben eines Russisch-Lehrbuchs für Deutsche in Stockholm - als in ihre Heimat zurückzukehren. Und dort das "Neue Deutschland" mit aufzubauen.

Meine Großväter waren von einer Ideologie beseelt, große Idealisten also: Ohne zu zögern, kehrten sie unmittelbar nach dem Krieg in ein gänzlich zerstörtes Land zurück, in unsichere Verhältnisse. Und das, obwohl sie sicher sein mußten, Landsleute vorzufinden, die sie als Juden und Kommunisten verfolgt oder zumindest zu ihrer Verfolgung geschwiegen hatten. Für Kurt Stern war es das Land der Mörder seiner Eltern!

Dennoch: Sie glaubten fest daran, mit ihrer Glut "die Trümmer in den Herzen und Hirnen der Menschen wegräumen" (K. Stern) und durch die Idee der neuen, der besseren Gesellschaft, ersetzen zu können. (Wie degeneriert, pervertiert und delegitimiert diese Idee schon zu diesem Zeitpunkt war, das soll hier nicht mein Gegenstand sein.)

Vom Kommunismus halte ich nichts. Und doch habe ich es allein ihm und seiner Anziehungskraft auf meine Großväter zu danken, daß beide, obwohl Juden, nach dem Holocaust mit ihren Familien nach Deutschland zurückkehrten. Und daß deren Kinder, meine Eltern, sich - die sowjetische Besatzungszone hieß längst DDR - trafen, verliebten und vermehrten... und ich aus dieser Liaison hervorging.

 

Jüdische Kommunisten

Wie konnten Juden nach dem Holocaust ohne zu zögern ins "Land der Täter" zurückkehren, obwohl fast alle anderen Juden das nicht über sich gebracht hätten und teilweise bis heute keinen Fuß mehr ins Land ihrer Eltern setzen können und wollen?

Ich weiß fast nichts über deutsche Juden in der Bundesrepublik vorm Fall der Mauer, über ihre Gründe, in Deutschland zu leben. Ich weiß nicht, wie sie mit dem Wissen fertig werden, mit möglichen Mördern oder Kindern von Mördern ihrer Angehörigen zusammenzuleben. Und deshalb kann ich nur über das schreiben, wovon ich meine, etwas zu wissen, also über meine jüdisch-kommunistischen Großväter. Für sie fällt mir nur eine Erklärung ein: Kommunist zu sein verlangte, wenn nötig mit Familie, mit Traditionen, mit der "bürgerlichen" Vergangenheit, zu brechen, wenn "die Sache" es gebot. Die "Sache", das war, am Aufbau des antifaschistischen, also des kommunistischen Deutschland mitzuwirken. Und diese "Sache", war wichtiger als alles andere. Alles, was diese Sache gefährdete, galt es zu verdrängen.

Ich behaupte, jüdische Kommunisten in der DDR hatten von Beginn an ein besonders großes Pensum zu verdrängen. Mehr noch als ihre Genossen, die die Zwangskollektivierung, die Moskauer Prozesse, den Hitler-Stalin-Pakt, das schon damals verfügbare Wissen um den GULAG und vieles andere mehr zu verdrängen hatten. Sie mußten als erstes und immer wieder die Lüge verdrängen, die schon im Gründungsmythos des Staates DDR begründet lag: Allein aus dem Umstand, daß an seiner Spitze Kommunisten standen, also Anti-Faschisten, also von den Nazis Verfolgte, wurde abgeleitet, daß die DDR ein Land ohne (Nazi-)Vergangenheit sei. Das Land jener Deutschen, die mit dem Faschismus, mit dem Holocaust nichts zu tun hatten. Jener Deutschen, die nichts wiedergutzumachen hatten (und deshalb auch Israel nicht anerkennen, geschweige denn Wiedergutmachung zahlen mußten). Die Täter, die Nazis und Neonazis, die Revanchisten und Rassisten, sie hatte es - gottseidank - in den Westen verschlagen. In unseren Schulen wurde zwar gelehrt, welche Verbrechen die Nationalsozialisten begangen hatten. Aber die Mitglieder von NSDAP, HJ, BDM, SS, SA und Wehrmacht - das waren Leute, mit denen wir DDR-Bürger etwa genau so wenig zu tun hatten wie mit Marsmenschen oder mindestens Südseeinsulanern. Nicht der Holocaust also wurde geleugnet (Mina) sondern die Mit-Verantwortung der Ost-Deutschen. Diese Verdrängung, die verordnete Geschichtslosigkeit und Ent-Schuldung in der DDR, war eine Fortsetzung der Ich-habe-von-nichts-gewußt-Mentalität der Deutschen während des Nationalsozialismus.

Doch nicht nur als gesellschaftliche Wesen müssen meine Großväter besonders viel verdrängt haben. Jüdischer Kommunist zu sein bedeutete nicht nur, den verlogenen Gründungsmythos "zu schlucken", weil er die Existenzrechtfertigung für die Staat gewordene kommunistische Ideologie ausmachte. Es bedeutete auch, einen Teil von sich zu verleugnen. Es bedeutete, im Privaten die Wurzeln zu kappen - wobei ich vermute, daß dieses Wurzeln-Kappen bei beiden schon weit früher geschah, vielleicht schon in der arbeiterbewegten Jugend.

In beiden Familien, wie ich sie erlebt habe und erlebe, war die jüdische Abstammung, waren jüdische Geschichte, waren Bräuche und Traditionen kein Thema. Wie konnte Kurt Stern verdrängen, daß seine Eltern im Lager gestorben waren, weil sie Juden waren? Und wie Wolfgang Steinitz, einen Bruder - mit Kindern und Kindeskindern - in Israel zu haben?

Ich bin ziemlich sicher: Meine beiden Großväter sind krank geworden an der neuen Gesellschaft. Sie sind indes bei aller inneren Gespaltenheit und Zerrissenheit nie aus der Partei ausgetreten. Wahrscheinlich hat Wolfgang Steinitz, der nichts glühender verehrte als die Sowjetunion, den XX. Parteitag der KPdSU nie verwunden. Der Herzinfarkt, an dem er 11 Jahre später starb, ereilte ihn am Abend eines Tages, an dem er in der Akademie einen großen Streit gehabt hatte; welcher Art der war, läßt sich nur vermuten. Und Kurt Stern, ein Freigeist und Grübler, hatte schon in den 50er Jahren, als er bei der DEFA, der staatlichen Filmagentur, arbeitete, heftigste Probleme mit der Zensur. Wahrscheinlich konzentrierte er deshalb fortan seine Sehnsucht und sein Engagement immer mehr auf die Ferne, wo die "Sache" noch nicht diskreditiert schien: Er schrieb über die Pariser Kommune, Kuba, Vietnam. Seit der Ausbürgerung von Wolf Biermann im Jahre 1976 zog er sich aus allen Gremien in Partei und Schriftstellerverband zurück und verstummte in seinen letzten Jahren fast gänzlich.

 

Und ich?

Bei all meiner Ablehnung des real existierenden Sozialismus (die weit älter ist als die "Wende") habe ich zumindest den oben beschriebenen Gründungsmythos der DDR bis zuletzt unkritisch akzeptiert. Bis Michael beim family meeting mir eben diese Frage gestellt hat, wie es für uns war, in einem Volk mindestens potentieller Mörder zu leben. (Auf mich und die anderen Steinitz-Abkömmlinge meiner Generation traf ja wirklich auch privat zu, daß unsere Großväter eben nicht Täter oder Mitläufer, sondern wirklich Verfolgte und Widerstandskämpfer gewesen waren. Und trotzdem wußten wir doch, daß die wenigsten Deutschen Widerständler waren.) Ich bin ohne das Wissen um eine Familiengeschichte und -tradition, die einen Teil von mir ausmacht, aufgewachsen. Und (mit Ausnahme einer heimlich von Inge Steinitz, meiner Großmutter, arrangierten Begegnung mit Dani, die mir alllerdings bis heute eindrücklich in Erinnerung geblieben ist) wußte ich bis zum Alter von 30 Jahren nicht mehr von meinen Verwandten in Israel, als daß es sie gab. Auch die Familie in Italien (wie den österreichischen und amerikanischen Zweig der Stern-Familie) bekam ich als Kind nur höchst selten zu sehen - "Westkontakte" waren im Haushalt meines Vaters nicht erwünscht.

Inzwischen habe ich begonnen, die Löcher zu füllen: Vor allem mit guter Klezmer-Musik (die gab es vor der Wende nicht bei uns), die mich mehr als jede andere Musik mit einer schwer zu beschreibenden Mischung aus übermütiger Freude und abgrundtiefer Schwermut erfüllt. Mit 10 unglaublich dichten Tagen Israel, die mich mit genau diesem zerrissenen Gefühl aus Begeisterung und Zweifel (in Märchen heißt sowas "mit wildem Weh") zurückließen. Mit Familienbesuchen in Italien, Österreich und USA (die letzten beiden bei Stern-Nachfahren). Und seit ein paar Wochen mit Euren Geschichten. Seit unserem meeting, seit ich begonnen habe, Euch kennenzulernen, fühle ich mich reicher und stärker, als ich es vorher war; natürlich auch voller neuer, unbequemer Fragen an mich selbst.

 

Mein Schluß ...

aus dieser Geschichte, die sich ja täglich weiterschreibt: Ich fürchte nichts mehr als jede Art von Fanatismus - ganz gleich, in welchem ideologischen Gewand er daherkommt. Wenn ein Mensch eine Überzeugung hat und danach zu leben versucht, kann ich daran nichts Gefährliches erkennen. Wenn aber eine Idee von jemandem so sehr Besitz ergreift, daß sie ihn dazu bringt, einen Teil von sich abzuschneiden, ihn dazu "befähigt", geliebte Menschen zu verraten (was ich keinem meiner Großväter unterstelle!), dann wird´s gefährlich. Ist der eigene Schmerz erst mal betäubt - verdrängt, ist es nicht mehr weit bis zu einem gesellschaftlichen Sendungsbewußtsein, das rechtfertigt, die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Notfalls auch mit Gewalt.

26.08.98


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07/01/07